Absichtsvolle Zeiträume. Zur Teleologie phantastischer Weltgeschichten als Erklärungs- oder Hoffnungsmodelle am Beispiel von J. R. R. Tolkiens Mittelerde

Autor/innen

  • Frank Weinreich

Schlagworte:

Teleologie, Tolkien, J. R. R.

Abstract

Manche Weltanschauung ist von ihren Inhalten so sehr überzeugt, dass sie glaubt, die von ihr postulierte Entwicklung komme mit so unabänderlicher Zwangsläufigkeit,  dass  sie  unausweichlich  ist.  Begründet  wird  das  dann damit, dass die Zielvorstellung, beispielsweise einjenseitiges oder auch ein irdisches  Paradies,  der  Entwicklung  inhärent  sei  und  den  Gesamtprozess determiniere. Eine teleologische Entwicklung ist dann, mit Michael Hampe  gesprochen,  „eine  Dekodierung  von  Informationen  und  kein  bloßes Wachstum“. Derartige Vorstellungen sind als Teleologien in die Ideengeschichte eingegangen, benannt nach dem griechischen Wort für Ziel, telos. Neben einer Teleologie des Handelns und einer Anschauung von Kausalitätsgeschehen  als  teleologisch  ist  es  vor  allem  die  Teleologie  in  der  Geschichte, die sich als wirkmächtige Idee erwiesen hat und es im Bereich des Glaubens auch immer noch ist.
Eine Telosidee begreift einen Gegenstand von seinem Ende her. Irgendetwas zieht eine Welt, eine Gesellschaft, ein Lebewesen oder ein beliebiges Ding Richtung Endziel. Ursache und Wirkung sind dabeidurchaus noch zu beobachten,  indem  etwa  auch  in  den  frühen  Überlegungen zur  Biologie noch  ein  Mutter-  und  ein  Vatertier  eine  Kindergeneration  zeugen,  aber eigentlich ist Leben für die Antike und das Mittelalter, bis zum „Verlust der Naturteleologie“ in der Neuzeit, in der Nachfolge der Entelechie des  Aristoteles eine „Zielverwirklichung im Sinne der Entfaltung des in der Form des  Einzeldings  grundgelegten  Wesens“  (ebd.).  Oder, bezogen  beispielsweise auf teleologische Überlegungen in der Geschichtsphilosophie, indem Hegel  die  Menschheitshistorie  betrachtet  und  eine  stetige  Zunahme  der Zivilisationsstufen  von  der  Vorgeschichte  über  Antike und  Mittelalter  bis zur  Neuzeit  konstatiert,  die  letztlich  Ausdruck  eines  „Naturwillens“  sein sollen,  in  dem  sich  als  Telos  „die  Werkzeuge  und  Mittel  des  Weltgeistes, seinen Zweck zu vollbringen, ihn zum Bewußtsein zu erheben und zu verwirklichen“ manifestieren. Oder  indem  die Bibel sagt,  die ‚Ursache’  Gott schuf die ‚Wirkung’ Erde in sechs Tagen. Doch all diese Dinge – Tier, Gesellschaftsgeschichte, die Welt – werden durch göttlichen Willen oder eine andere inhärente Kraft auf ihr Ziel zu bewegt, nachgerade so, als ziehe ein Magnet sie an. Und  das lässt sich bekanntermaßen nicht einmal widerlegen. Gerade dadurch aber hat sich die Teleologie als ein mit wissenschaftlichen Mitteln untersuchbarer Gegenstand erledigt und  ist längst von der Vorstellung evolutionärer Prozesse als Ursache von Ist-Zuständen abgelöst worden. Was von der Teleologie des Handelns übrig blieb, ist spätestens seit  Max  Weber  in  dessen  Zweckrationalität aufgegangen.  Teleologische Vorstellungen  innerhalb   von  Kausalitätsabläufen  haben  sich  angesichts der wissenschaftlichen Entdeckungen der letzten hundert Jahre im Mikro- wie  im Makrobereich als nicht haltbar erwiesen. Erwähnt sei hier als berühmtestes Beispiel nur die vom Vitalismus des Aristoteles vertretene und schon erwähnte Entelechie, die spätestens durch die Entdeckung der DNS als Erbinformationsträger gegenstandslos geworden ist.

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Veröffentlicht

2013-01-01